Chor "Neue Töne" vertont Heine
Vertonte Gedanken eines unbequemen Literaten
wj Aurich. Da haben sie aber ganz schön was angerichtet. Der Auricher Chor „Neue Töne“ unter der Leitung von Heinrich Herlyn hat sich unter dem Motto „Was soll das bedeuten?“ Texte von Heinrich Heine vorgeknöpft und daraus eine musikalisch-poetische Speisekarte zusammen gestellt. Aufgetischt wurde das mehrgängige Menü erstmals am vergangenen Sonnabend in der Aula des Auricher Gymnasiums.
Heinrich Heine war ein höchst unbequemer Zeitgenosse. Als Lyriker, Journalist und Essayist fand der 1797 als Sohn eines jüdischen Tuchhändlers in Düsseldorf geborene Schriftsteller stets deutliche Worte, die speziell bei den Obrigkeiten selten besonders gut ankamen. Nachdem er sich 1831 ins französische Exil abgesetzt hatte, wo er 1856 starb, wurden seine Schriften 1833 in Preußen verboten. Heine-Puristen stehen Vertonungen ihres Lieblingsliteraten zu Recht eher skeptisch gegenüber, weil sie meinen, die Musik würde den Worten oft ihre Schärfe nehmen. An nichts wird dieses so klar wie an dem Lied von der Loreley mit dem bekannten Einleitungssatz „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“. Selbst die Nazis trauten sich nicht, diese wunderschöne Weise zur eingängigen Melodie von Friedrich Silcher zu verbieten. Der jüdische Urheber des Textes wurde damals lediglich verschwiegen und als „unbekannt“ angegeben. Allerdings kehrt der Chor „Neue Töne“, der an diesem Titel natürlich auch nicht vorbeikommt und ihn bewusst an den Anfang seines Programms stellt, diesen Tatbestand nicht unter den Tisch, sondern weist explizit darauf hin. Die Gesangsnummern werden nämlich zwischendurch immer wieder durch rezitierte Texte oder kurze erläuternde Hintergrundinformationen aufgelockert.
Dadurch werden einige Widersprüchlichkeiten innerhalb von Heines Schaffenswerk offensichtlich. Speziell jungen Jahren war der Mann nämlich das, was man einen hoffnungslosen Romantiker nennen würde und hatte deswegen selbst ein bisschen Schuld daran, dass sogar namhafte Komponisten seine Botschaften musikalisch entsprechend verklärt haben. Im Programm vom Chor „Neue Töne“ kommt dieser Tatbestand im dritten Gang unter dem Motto „Liebesperlen süß-sauer“ bei den beiden von Robert Schumann vertonten „Im wunderschönen Monat Mai“ und „Ich will meine Seele“ tauchen sehr gut zum Ausdruck.
Aber keine Angst, die bissigen (gesellschafts)politisch-satirischen Seitenhiebe bleiben keinesfalls außen vor. Heinrich Herlyn und sein Chor haben sie mit gelungenen Querbezügen zu Autoren wie Robert Gernhardt oder Bertolt Brecht verknüpft. Darüber hinaus wird daran erinnert, dass Heinrich Heine quasi einer der ersten deutschsprachigen Slam-Poeten war, indem er Alltagssprache mit Ausdrücken wie „Nonnenfürzchen“ oder „Pisspott“ in Lyrik und Literatur salonfähig zu machen versucht hat.
Die Bandbreite der Musik reicht von den bereits erwähnten Robert Schumann und Friedrich Silcher über den Sacro-Pop-Komponisten Peter Janssens bis hin zum Liedermacher Wolf Biermann und Schlagerpapst Christian Bruhn. Letzterer tat sich eigentlich vorrangig mit Hits wie „Zwei kleine Italiener“ , „Liebeskummer lohnt sich nicht“ oder „Marmor, Stein und Eisen bricht“ hervor, hat aber in den 70er Jahren für seine damalige Ehefrau Katja Ebstein auch einmal ein komplettes Album mit Texten von Heinrich Heine vertont. Hinzu kommen eine Reihe von eigenen Vertonungen, für die sich Chorleiter Heinrich Herlyn verantwortlich zeichnet. Stilistisch pendelt das Ganze irgendwo zwischen anspruchsvollem Doowop, peppigem Spiritual und klassischem Lied, wobei der Mut zu der ein oder anderen seichten „Melodei“ durchaus vorhanden ist. Ein leichtes (selbst)ironisches Augenzwinkern kann und mag sich der Chor „Neue Töne“ hie und da nicht verkneifen, wie man überhaupt feststellen darf, dass die gesamte Präsentation des Programms schauspielerisch gesehen ohnehin ausgesprochen gelungen ist. Insofern passt das wiederum exzellent zur Idee des Menüs, wo es ja schließlich ebenfalls nicht umsonst heißt: Auch das Auge isst mit.
(Ostfriesische Nachrichten vom 06. September 2010)