JUZ Aurich wird 30

Zwischen Angriffslust, Abstinenz und Amüsement
wj Aurich. Rückblicke sind im Auricher „Schlachthof“ derzeit schwer angesagt. Immerhin feiert das Gebäude am Breiten Weg in diesem Monat sein 30-jähriges Bestehen als Jugendzentrum. Am Freitag ließ Andreas Beyer unter dem Motto „Provinzposse“ die wilden 90er Jahre Revue passieren, als die lokale Antifa-Szene rund um das JUZ nicht nur regional für Schlagzeilen sorgte.

Andreas Beyer war nach eigener Aussage von 1989 bis 1998 aktiv in die JUZ-Szene involviert. Unter anderem tat er sich damals als fleißiger Schreiber des Alternativblattes „Gehacktes“ hervor. Da sich seinerzeit in Ostfriesland eine stetig wachsende rechtsextreme Szene formierte, sah man in Aurich irgendwann die Notwendigkeit, eine Antifa(schistische) Gruppe ins Leben zu rufen, die etwas dagegen unternehmen sollte. Als konkreten Auslöser und letzten Anstoß für die Gründung einer solchen Gruppe nannte Beyer einen als ungerecht empfundenen Freispruch für einen berüchtigten „Nazi-Schläger“. Vielleicht war das der Grund dafür, dass die Auricher Antifa von Anfang an eine gewisse Kompromisslosigkeit an den Tag legte und sich dadurch schnell auch außerhalb ihrer Heimatregion einen Namen machte. „Da wurde nicht lange diskutiert“, erinnerte sich Beyer am Freitag und versuchte das wie folgt zu begründen: „Das wäre so ähnlich gewesen wie wenn ein neuer Druide zu Asterix ins Dorf kommen und erst einmal darüber reden wollen würde, welche von den Römern denn nun verprügelt werden dürften und welche nicht.“ Die Kompromisslosigkeit spiegelte sich bei einigen Mitgliedern in einer strengen Enthaltsamkeit nach der so genannten „Straight Edge“-Philosophie wider. Hintergrund dafür war eine aus dem Bereich des Hardcore Punk stammende Jugendkultur, die sich bewusst vom selbstzerstörerischen Lebenswandel der Punks der ersten Generation abgrenzte und den Konsum von Alkohol, Drogen, Tabak und dergleichen strikt ablehnte. Wer trotzdem in irgendeiner Form mit Hochprozentigem „erwischt“ wurde, „mit dem haben manche daraufhin teilweise monatelang nicht mehr geredet“, meinte Andreas Beyer am Freitag.

Die Auseinandersetzungen zwischen der Antifa und der rechtsextremen Szene spitzten sich dramatisch zu, als am 8. Mai 1993 ein Pulk von rund 120 Neonazis einen Angriff auf das Auricher Jugendzentrum startete. Ausgerechnet an dem Tag fand in den Räumlichkeiten am Breiten Weg ein Ausländerfest statt, wo nach Darstellung von Andreas Beyer lediglich ungefähr „eine Handvoll“ Antifa-Mitglieder anwesend waren. Und die hätten sich nach Kräften gegen die Neonazis zu wehren versucht, wobei auch etliche Wurfgeschosse geflogen und Flaschen zu Bruch gegangen wären. Scharfe Kritik übte Beyer in dem Zusammenhang an der Polizei, die sich trotz mehrmaliger vorheriger Warnung zunächst extrem zurück gehalten und dann lediglich sporadisch eingegriffen hätte. Dass die Ordnungskräfte den Abzug der Neonazis im Nachhinein als Erfolg ihres Einsatzes verbucht haben, kann und mag Beyer bis heute nicht ganz nachvollziehen.

Neben solchen ernsten Themen gab es am Freitag aber auch allerlei kurzweilige Anekdoten zu hören. Wiederholt die Rede war z.B. von einer Auricher Hardcore-Band, die durch ihr extrem paramilitärisch geprägtes Erscheinungsbild regelmäßig für gehörige Verwirrung sorgte, auf welcher Seite sie denn nun tatsächlich politisch einzuordnen wäre. Als Punk-Konzerte im JUZ phasenweise von den Behörden untersagt worden waren, zeigte man sich entsprechend flexibel. Da hieß es schlicht und ergreifend: „Nein nein, diese Band spielt ja gar keine Punk-Musik. Die machen Hardcore.“ Und schon war ein weiterer Auftritt gesichert. Herzlich wenig brachte auch ein Verbot der bis heute ebenso legendären wie beliebten JUZ-Partys am Heiligen Abend. Sie fand damals trotzdem statt, was nur deswegen herauskam, weil ein Teilnehmer mitten während der Fete am Weihnachtsabend die zuständige Behördenleiterin zuhause anrief und freundlich angefragte, ob sie denn nicht vorbeikommen und mitfeiern wollen würde. Offensichtlich hatte die Dame wenig Humor. Jedenfalls bekamen einige Teilnehmer der illegalen Weihnachts-Party anschließend eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch. „Nach dem Angriff der Neonazis auf das JUZ ist eine solche Anzeige wegen Hausfriedensbruch übrigens nie gestellt worden“, gab Andreas Beyer zu bedenken.

Selbst wenn manche Zeitzeugen die vom ehemaligen „Gehacktes“-Schreiber am Freitag in seiner „Provinzposse“ geschilderten Geschehnisse vielleicht ein wenig anders darstellen würden, so waren seine Ausführungen nichtsdestotrotz ein wichtiger und letztlich auch notwendiger Beitrag, um ein wirklich umfassendes Bild von der JUZ-Chronik der 90er Jahre zu erhalten. 

(Anmerkung: Dieser Text war ursprünglich gedacht für einen Bericht in einer Lokalzeitung. Allerdings weigerte sich die Chefredaktion seinerzeit, den Artikel abzudrucken und veröffentlichte am Ende lediglich das Foto mit einer kurzen Bildunterschrift.)