INTERVIEW mit Tim Jürgens
"Kommerzialisierung ist außer Kontrolle geraten"
Während in den Stadien und auf den Fußballplätzen wegen Corona gähnende Leere herrscht, verspricht die gerade erschienene Werkschau „Das große 11FREUNDE Buch“ den Fans zumindest ein bisschen Trost und Ablenkung. Darin liefert die Kult-Zeitschrift „11 Freunde“, die im April ihr 20-jähriges Bestehen feiert, einen Rückblick auf ihre besten Bilder und Geschichten aus zwei Jahrzehnten Fußball-Kultur. Aus diesem Anlass stand der stellvertretende Chefredakteur Tim Jürgens in folgendem Interview Werner Jürgens - beide weder verwandt noch verschwägert - Rede und Antwort.
Frage: 2006 wechselten Sie aus München zu „11 Freunde“ nach Berlin. War der Wechsel nicht ein bisschen riskant? Immerhin besaß das Heft längst noch nicht den Status, den es heute hat.
Jürgens: Nach acht Jahren beim Männermagazin wurde es Zeit für etwas Neues. Natürlich war „11 Freunde“ damals noch nicht so etabliert. Damals machten wir das Blatt mit vier Redakteuren, einer Buchhalterin und einem Büroleiter. Die Auflage lag bei 15 000 Heften im Monat. Aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass es gut werden könnte. Mit dem Herausgeber und damaligen Hauptgesellschafter von „11 Freunde“ hatte ich in den 1990er Jahren das Musikmagazin „Intro“ aufgebaut. Als er mich fragte, ob ich Lust hätte, für ein alternatives Fußballmagazin mit hohem journalistischen Anspruch zu arbeiten, fand ich das reizvoll. Außerdem war es die Chance, in Berlin zu arbeiten, wovon ich lange geträumt hatte. Und als ich den Vertrag unterzeichnet hatte, fiel mir auf: 2006? Moment, da war doch was? Drei Monate später begann die WM im eigenen Land, die ich nun als Berichterstatter hautnah erleben durfte. Eine glückliche Fügung und ein Entschluss, den ich bis heute nicht bereut habe. Denn durch den Sog des „Sommermärchens“ gelang es uns, die Auflage in nur einem Jahr zu verdreifachen.
Frage: Was konkret hat Sie an der Arbeit gereizt?
Jürgens: Ich bin Magazinjournalist. Schon zu „Playboy“-Zeiten haben mich die langen Reportagen und Interviews fasziniert, die im Einklang mit einem klar definierten optischen Konzept und hochklassiger Fotografie stehen. Geschichten, die mir als Autor die Möglichkeiten geben, umfassend und hintergründig in ein Thema einzutauchen. Für Porträts und Interviews mit Fußballprotagonisten verbringe ich oft mehrere Stunden, manchmal sogar Tage mit den Betreffenden. So bekomme ich Einblicke, die nur ganz wenige Kollegen erhalten – und damit auch die Chance ein authentisches Bild einer Person oder einer Situation zu zeichnen, in der sich ein Klub gerade befindet. Vergangenes Jahr habe ich beispielsweise den HSV-Spieler Lewis Holtby durch die gesamte Spielzeit nach dem Bundesliga-Abstieg begleitet. Vor einigen Jahren hatte ich etwas Derartiges auch mit Hertha-Manager Michael Preetz gemacht.
Ausführliches Interview im Ostfriesischen Kurier vom 07., 08., 09. und 11. April 2020