Milow live in Aurich
Radio-Hits und Ausblick aufs neue Album
wj Aurich. Die meisten seiner Songs klingen nach gediegener Kneipen- oder Club-Atmosphäre. Aber weil es in Aurich nun einmal keine Kneipe gibt, in die 2300 Zuschauer hineinpassen würden, musste Milow eben auf die Sparkassen-Arena ausweichen. So viele Leute waren am vergangenen Mittwochabend gekommen, um den flämischen Sänger und Gitarristen mit seiner Band live auf der Bühne zu sehen. Sie erlebten einen rundum gelungenen Querschnitt, der neben den bekannten Radiohits wie „Ayo Technology“ oder „You don't know“ auch einen Ausblick auf anstehende neue Veröffentlichungen des Superstars aus Belgien enthielt.
Bevor Milow auftrat, gab es zunächst ein nicht minder hörenswertes Vorprogramm mit dem Gitarristen und Sänger Erik Penny, der eigentlich aus Los Angeles stammt, derzeit aber in Berlin lebt. Dem Amerikaner gelang es mit ein paar eingängigen Refrains zum Mitsingen gut, das Publikum auf den Abend einzustimmen.
Eine akustische Gitarre dominiert auch viele Songs von Jonathan Vandenbroeck, wie der 1981 in Leuven geborene Milow mit bürgerlichem Namen heißt. Beim Konzert in Aurich war sie ebenfalls meistens im Vordergrund zu hören, während Keyboard und E-Gitarre der Musik dazu oft leicht sphärisch anmutende Klänge als Rahmen lieferten. Ein Bassist, der zwischen elektrischem Bass und Kontrabass wechselte, sowie ein Schlagzeuger und eine Backgroundsängerin komplettierten die Band. Dass Milow das Rad in der Popgeschichte nicht neu erfinden will und sich, wie fast alle seine Kollegen, schon mal gerne woanders bedient, daraus macht er selber gar keinen Hehl. So floss das von ihm komponierte „Canada“ nahtlos in den Refrain von Bob Geldorfs „Room 19“ („Sha la la la lee, set me free“). Ähnlich bedient sich „The Priest“ bei Bob Dylans „Knocking on heaven's door“; und zwar musikalisch wie inhaltlich. Denn in dem Lied beschreibt Milow, wie er in der Zukunft mit 68 Jahren immer noch von Zweifeln geplagt auf sein 42 Jahre währendes Leben als Priester zurückblickt und bald seinem Schöpfer gegenübertreten wird. Ohnehin scheinen die allesamt ausgesprochen gefälligen Melodien, die sich irgendwo zwischen gepflegtem Rock und Pop-Mainstream und traditionellem Singer/Songwriter-Folk bewegen, für den Belgier lediglich ein Mittel zum Zweck für das zu sein, was er in seinen Texten ausdrücken und sagen möchte. Bewegend geriet beispielsweise am Mittwochabend die Ballade „Out of my hands“, aus der eine Art Requiem für einen guten Freund geworden ist. Der starb just einen Tag bevor Milow ihn hätte kontaktieren wollte. Der Belgier hat diesen Titeln übrigens kürzlich zusammen mit der norwegischen Sängerin Marit Larsen („If a song could get me you“) noch einmal neu eingespielt.
Einen Ausblick auf sein voraussichtlich Anfang 2011 erscheinendes neues Album gab Milow am vergangenen Mittwochabend auch schon einmal. „Building Bridges“ mit einem an „Supertramp“ erinnernden Keyboard-Riff wurde vom Auricher Publikum genauso gut angenommen wie die eingangs bereits erwähnten beiden europäischen Radio-Hits. Für die ließ sich der Belgier aber rund eine Stunde Zeit, bis er mit „You don't know“ dann endlich den ersten davon spielte und beim Refrain gleich durch einen begeistert mitsingenden Zuschauerchor unterstützt wurde. Noch wesentlich stimmungsvoller sollte es bei „Ayo Technology“ werden. Für seinen bis dato größten Hit, dessen Originalversion ursprünglich eine Gemeinschaftsproduktion von Rapper „50 Cent“ mit Justin Timberlake und Timbaland war, forderte Milow die Zuschauer vehement auf, ihr Handy anzuschalten, um mit der Beleuchtung ihrer Displays ein buntes Lichtermeer zu erzeugen. „Komm schon, ich weiß dass jeder von euch post-post-modernen Kids solch ein Ding besitzt“, meinte der belgische Sänger und durfte sich anschließend tatsächlich über ein schönes Bild bestehend aus zahllosen zumeist tiefblauen Lichtpunkte freuen. Die Aktion hatte irgendwie zudem starken symbolischen Charakter. Milow präsentiert sich als jemand, der bereit ist. sich mit seiner Musik und seinen Texten, den Herausforderungen einer hypertechnisierten digitalen Welt zu stellen. Er liefert dazu Ohrwürmer mit eingängigen Refrains zum Mitsingen, die sich ideal für den Einsatz im Radio eignen. Darüber hinaus dürfen einzelne Songs aber durchaus hie und da etwas komplexer geraten. Oder die Musik wird im scharfen Kontrast dazu sparsam auf das Wesentliche reduziert. Manchmal gelingt es Milow sogar, sämtliche der drei eben genannten Komponenten in ein einziges Lied hinein zu packen.
Für zusätzliche Akzente sorgte am Mittwochabend die Band des Belgiers. So entpuppte sich Gitarrist Tom als eingefleischter Fan des deutschen Schlagers. Er spielte und sang daraufhin sehr zur Begeisterung des Auricher Publikums als Kostproben „Du“ von Peter Maffay und Nenas „99 Luftballons“ an. Auch für Schlagzeuger Freddy war es ein ganz spezieller Tag. Er hatte nämlich am Mittwoch Geburtstag, was das Auricher Publikum, nachdem es davon erfahren hatte, mit einem spontanen „Happy Birthday“-Ständchen ausgiebig feierte.
(Ostfriesische Nachrichten vom 19. März 2010)